18.04.2016 │ Beteiligung

MachMit!-Seminar in Loccum - Kurzbericht

Am Wochenende 5./6. März 2016 haben wir das Projektseminar „MachMit!“ in der der Evangelischen Akademie Loccum durchgeführt. Teilgenommen haben 15 Schülerinnen und Schüler aus Wunstorf sowie 4 junge Syrier, die aus Alepo geflüchtet sind und 3 junge Erwachsene aus Winsen, die sich dort in dem Internationalen Café des Kirchenkreises Winsen/Luhe engagieren. Das Projektseminar glich eher einer Tagung: viele Referenten haben zu dem Thema aus unterschiedlichen Richtungen etwas beigetragen.

Zu Beginn berichtete der Bürgermeister von Wunstorf, Herr Rolf-Axel Eberhardt, wie die Stadt Wunstorf auf die Herausforderung zur Unterbringung von Flüchtlingen reagiert und diese Herausforderung bisher auch bewältigt hat.

Als zweiter Referent am Vormittag referiert Lino Klevesath aus Göttingen (Dok-torant der Politikwissenschaft) über die geschichtlichen und politischen Hinter-gründe des Syrienkonfliktes – angefangen bei der Auflösung des Osmanischen Reiches zum Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Aufteilung des Gebietes unter den europäischen Kolonialmächten, dem Französischen Protektorat, über die ersten Jahre der Unabhängigkeit und den Versuchen, eine demokratische Staatsform nach europäischem Vorbild zu errichten; dem kurzen Zeitraum wechselnder Wahlen und Putsche bis hin zur dreißigjährigen Diktatur durch Hafiz al-Assad und der andauernden Diktatur durch Baschar al-Assad seit 2000. In diesen Jahren vergrößert sich die soziale Ungleichheit, (vermeintliche) Gegner wurden willkürlich verhaftet, gefoltert oder verschwanden.

 

Nach dem leckeren Mittagessen lockerten Anne und Lisa mit interaktiven Spielen die Stimmung auf. In der Kaffeepause fingen unsere syrischen Gäste auf dem Weg zum Kaffee auf der Straße an zu tanzen. Sie animierten uns zum Mittanzen.

Es fiel einigen schwer, aus dieser fröhlichen Runde wieder in den Seminarraum zu kommen. Hier wurde es dann emotional sehr intensiv: unsere syrischen Gäste, Ibrahim, Boushkin, Nowzat und Eva, die in den letzten anderthalb Jahren als Min-derjährige aus Alepo geflohen sind, erzählten uns über ihre Heimat; wie es vor dem Krieg war, die Entwicklung im Krieg, zeigten uns Bilder der Zerstörung (wie wir sie nicht im Fernsehen gesehen haben) und berichteten von ihrer Flucht nach Deutschland.

Zum Abschluss des Nachmittags hatten wir noch ein Skype-Interview mit Susanne Schmelter, Doktorandin der Kulturwissenschaften am Orient-Institut in Beirut. Frau Schmelter berichtete uns, wie sich der Bürgerkrieg in Syrien auf das befreundete Nachbarland Libanon auswirkt.

 

Nach dem Abendessen gab es einen besinnlichen Ausklang. Die Schulpastorin des Hölty-Gymnasiums, Frau von Stemm, hatte uns in die Loccumer Klosterkirche eingeladen. Bei Kerzenschein erkundeten wir die Kirche, in Zweier- oder Dreiergruppen und tauschten uns über Aussagesätze über Begriffe und Bedeutung von Heimat, Glaube und Gott aus. Ungeplant haben wir gemeinsam und einzeln in der Kirche gesungen und den Klang in der wundervollen Akustik in der Kirche auf uns wirken lassen. Nach den bewegenden und aufwühlenden Informationen des Tages hat uns das zur Ruhe kommen lassen. Danach verteilten wir uns. Eine Gruppe spielte noch zusammen, eine andere schaute gemeinsam Videos an, andere gingen frühzeitig zur Nachtruhe.

 

Am Sonntag ging es nach einem ausgiebigen Frühstück mehr oder weniger ausge-schlafen weiter. Nach einer kurzen Zusammenfassung des Vortages und einem Partneraustausch über die Eindrücke und Nachwirkungen erzählten Luca, Niklas und Ben von der SV-Projektgruppe des Hölty-Gymnasiums Wunstorf über ihr Projekt „MachMit!“ zur Betreuung von Flüchtlingskindern. Im Rahmen des jährlichen SV-Wochenendes in Silberborn ist im Winter 2014 die Idee entstanden, Flüchtlingskinder in Wunstorf zu unterstützen, mit ihnen spielen, lesen, Sport treiben, bei den Hausaufgaben helfen – aber vor allem mit ihnen sprechen. Dadurch sollten die Kinder spielerisch Deutsch lernen. So wollten die Hölty Schüler aktiv und spielerisch Schranken der Kulturen und der Sprache abbauen helfen und Rassismus entgegenwirken.

Anschließend berichteten Svenja, Sarah und Christopher aus Winsen/Luhe über die vielfältigen Aktivitäten wie das Internationale Café des Kirchenkreises Win-sen/Luhe. Sie schilderte die Aktivitäten nicht als „Arbeit mit“ oder „Betreuung von“ Flüchtlingen, sondern als gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen, als Treffen und Feiern mit Freunden, von denen die gesamte Dorfgemeinschaft zum gemein-schaftlichen Leben erweckt wurde.

Als letztes referierte Frau Dr. med. Cornelia Oestereich, Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie, über schwierige Situationen und einige Hintergründe zum Thema Traumatisierung und traumatische Erfahrungen. Viele Menschen erleben irgendwann in ihrem Leben schwierige, beängstigende oder bedrohliche Situationen. Die meisten Menschen haben die Fähigkeit, diese Situationen zu bewältigen und können oft hinterher gestärkt ihr Leben weiterleben. Diese Fähigkeit wird Resilienz genannt. Die Menschen, die in Syrien Krieg erlebt und die auf ihrer Flucht viele Widrigkeiten überwunden haben, haben viele schreckliche Erlebnisse hinter sich – sie haben aber auch eine enorme Stärke und Fähigkeit bewiesen, diese Hindernisse zu bewältigen und nach Deutschland zu kommen. Für einige Menschen können diese schrecklichen Erlebnisse solche Nachwirkungen haben, dass sie nicht mehr richtig froh werden und darunter leiden. Diesen Menschen kann psychiatrische (Trauma)-Therapie helfen. Diese Therapie bohrt aber nicht in der Wunde, fragt zunächst nicht nach den schrecklichen Erlebnissen – sondern sie fragt nach den schönen Erinnerungen, danach wie sie gelebt und gearbeitet haben, nach den Stärken und Fähigkeiten.

„Und das“, so schließt Frau Oestereich ihren Vortrag, „was ihr in den geschilderten Projekten macht, ist genau das richtige, um die Resilienz, den Lebenswillen zu stär-ken und um den Menschen zu helfen, diese schrecklichen Erlebnisse zu bewältigen.“ Frau Dr. Oestereich schrieb eine Woche später noch: „Ich bin immer noch sehr beeindruckt von den Jugendlichen, die in Loccum ihre Projekte vorgestellt haben und von deren allgemeinem Engagement. Ich bin sehr froh, vielleicht etwas für die Zukunft der Projekte beigetragen zu haben.“

 

Dies haben wir auch an diesem Wochenende erlebt. Ibrahim, Boushkin, Nowzat und Eva haben von dem Krieg in Syrien erzählt, von ihrer Flucht – sie haben uns aber auch die schönen Bilder aus ihrer Heimat gezeigt und von der Schönheit dort erzählt, sie haben mit uns – haben wir gemeinsam mit ihnen – getanzt und gesungen. Es war für uns alle ein informatives, beeindruckendes und bewegendes Wochenende.

 

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